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Tiroler Fließgewässer unter Strom

Da die Diskussion über Möglichkeit, Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit eines weiteren Ausbaues der  Wasserkraft ein steter Begleiter von Naturschutzverfahren geworden ist, stellt die Tiroler Umweltanwaltschaft anschauliche Daten und Fakten zur Stromproduktion und zum Stromverbrauch sowie zum bestehenden Wasserkraftausbau und seinen ökologischen Folgen für Tirol bereit.

Die erneuerbare Stromproduktion aus Wasserkraft ist „normalisiert“ dargestellt, d.h. das durchschnittliche Arbeitsvermögen der bestehenden Wasserkraftwerke wird für die Berechnungen herangezogen. Damit ist eine seriöse Darstellung über Jahre hinweg möglich und können Trends ohne deutliche Jahreserzeugungsschwankungen aufgrund unterschiedlicher Jahreswasserdargebote ersichtlich gemacht werden.
Pumpspeicherverluste, die durch das Hochpumpen von Wasser und die anschließende Stromerzeugung jeweils mit entsprechenden Wirkungsgradverlusten in Pumpspeicherkraftwerken auftreten, sind im Eigenverbrauch des Sektors Energie enthalten.

Grafiken, Tabellen und Karten wurden mit öffentlich zugänglichen Datengrundlagen erstellt (Quellen: Statistik Austria, Land Tirol).
Letzte Aktualisierung: Februar 2023

 

2021 wurden in Tirol insgesamt 7.113,2 GWh (Gigawattstunden) Strom erneuerbar produziert. Rund 95 Prozent dieses Stroms stellte die Wasserkraft bereit, nur ein geringer Anteil wurde durch Verbrennung biogener Stoffe erzeugt. Die Stromgewinnung aus Fotovoltaik betrug in diesem Jahr 2,30 Prozent.

 

Betrachtet man die reine Stromproduktion aus Wasserkraft in Tirol, so erzeugen 22 große Kraftwerke 71,99 Prozent der gesamten Strommenge, während 728 Kleinstkraftwerke (Leistung unter 500 kW) lediglich 3,77 Prozent produzieren.

Damit beschränkt sich die Sinnhaftigkeit derartiger Kleinstanlagen aus Sicht der Tiroler Umweltanwaltschaft vor allem auf Insellösungen zur Versorgung von Schutzhütten oder Almgebäuden. Eine weitere Forcierung des Wasserkraftausbaues von Kleinkraftwerken mit Netzeinspeisung, insbesondere unter 500 kW Leistung, ist damit weder energiewirtschaftlich sinnvoll noch hinsichtlich der Erreichung der gesteckten Klimaziele zielführend.

 

Der Tiroler Stromverbrauch betrug im Jahr 2021  6.485,9 Gigawattstunden (GWh). Den höchsten Stromverbrauch wies der Bereich Gewerbe und Industrie (2.184,1 GWh) auf, die privaten Haushalte verbrauchten insgesamt 1.952,7 GWh Strom.

 

 

Tirol erwirtschaftete im Jahr 2021 somit eine bilanzielle Stromüberproduktion von 627,3 GWh. Gemäß der Tiroler Energiebilanz 2021 der Statistik Austria deckte das Bundesland bilanziell somit 109,7 Prozent seines gesamten Stromverbrauches ab.

[Mit diesem Überschuss könnten neben den bereits versorgten 332.522 Tiroler Haushalten und der sonstigen Stromverwendung (Gewerbe und Industrie, Verkehr, Dienstleistungssektor, Landwirtschaft, Verbrauch des Sektors Energie und Netzverluste)  zusätzliche 173.767 Haushalte versorgt bzw.  239.427 Elektroautos (20 kWh je 100 km bei durchschnittlich 13.100 km Fahrleistung; Quellen: VCÖ und ADAC) ganzjährig betrieben werden.]

 

 

Ist dieser Überschuss für das Jahr 2021 (Stromkennzahlen Tirol 2021_Tabelle) nur ein außergewöhnliches Ereignis oder ist Tirol längst stromautonom?
Sieht man sich eine längere Jahresreihe von 2005 bis 2021 an, so ist zu erkennen, dass ab dem Jahr 2008 eine stete Überproduktion erzielt wurde.
Das gesteckte Landesklimaziel, nämlich spätestens 2030 bilanziell aufgrund erneuerbarer Produktion stromautonom zu sein, ist somit bereits (über)erfüllt und wird in der offiziellen österreichischen Statistik dementsprechend ausgewiesen (vgl. Statistik Austria, TirolDatenPublikation (1).ods, Tabellenblatt „Erneuerbare EU-Richtlinie“, Zeile 63).

 

 

Tirol hat somit in den letzten Jahren deutlich mehr Strom erneuerbar produziert als es insgesamt verbraucht hat. Dabei sind zwei Trends erkennbar – erstens war der reale Stromverbrauch zwischen 2008 und 2009  stark rückläufig und steigt nun wieder in Richtung des Wertes von 2008 und zweitens ist ein Trend zur Steigerung des Regelarbeitsvermögens insbesondere durch Sanierung und Ausbau der Wasserkraft deutlich erkennbar.
Die Erhöhung der erneuerbaren Stromproduktion belief sich im Zeitraum von 2005 bis 2021 auf rund 983 GWh. Nachdem die Stromerzeugung aus Wasserkraft hierbei den maßgeblichen Anteil innehält (Strom aus Foltovoltaik macht aktuell nur 2,30 Prozent der gesamten erneuerbaren Erzeugung aus), ist somit festzuhalten, dass der Ausbau der Wasserkraft in den letzten beiden Jahrzehnten erfolgreich war bzw. auch derzeit in Gange ist.
Im selben Zeitraum stieg der Verbrauch der Tiroler Haushalte von 1.599,2 GWh im Jahr 2005 auf 1.952,7 GWh im Jahr 2021. Der größte Stromverwender, der Bereich „Gewerbe und Industrie“, zeigt einen relativ ausgeglichenen Verbrauchstrend von 2.193,1 GWh im Jahr 2005 bis 2.184,1 GWh im Jahr 2021.

Aus Sicht der Tiroler Umweltanwaltschaft ist somit mit Bezug zur erneuerbaren Stromproduktion und zum Stromverbrauch in Tirol aufgrund aktueller offizieller Daten eine unbedingte Notwendigkeit eines weiteren Ausbaues der Wasserkraft nicht erkennbar. Im Gegenteil, sowohl kurz- als auch langfristige Klimaziele für Tirol bzw. diesbezügliche EU-weite Vorgaben sind bereits mehr als erfüllt.
Lediglich ein zukünftiger weiterer Ausbau von Pumpspeicherkraftwerken in Tirol könnte in Verbindung mit entsprechend großen Stromimporten aus nicht erneuerbarer Herkunft zu einer Nichterreichung der vorgegebenen bzw. selbst gesteckten Ziele führen.

Wie viele Gewässerabschnitte können nun in Tirol noch genutzt werden, ohne die Lebensqualität nachfolgender Generationen in erheblichem Ausmaß einzuschränken?

 

Das Netz der Fließgewässer Tirols mit Einzugsgebietsgrößen über 10 km² weist eine Gesamtlänge von 3.963 km auf. Knapp ein Drittel dieses Gewässernetzes (1.213 km), vor allem im Bereich entlegener Gebirgstäler, befindet sich in einem sehr guten ökologischen Zustand. Rund ein Viertel (1.030 km) weist den guten ökologischen Zustand auf. 43 Prozent (1.720 km) der größeren Fließgewässer sind jedoch dermaßen durch Kraftwerke und Verbauungen in ihrem ökologischen Zustand verschlechtert, dass eine gesetzliche Sanierungspflicht besteht.
Insgesamt 32 Prozent (1.265 km) der größeren Fließgewässer Tirols befinden sich innerhalb von „Schutzzonen“, das heißt sie haben ihren Ursprung in Tiroler Schutzgebieten und der daran anschließende Fließgewässerabschnitt weist eine natürliche bzw. naturnahe Ausprägung auf. 1,1 Prozent des Gewässernetzes sind als einzigartige Flussstrecken klassifiziert, das Prädikat „sehr selten“ wurde an rund 6,2 Prozent der Gewässerabschnitte aufgrund von Untersuchungen des Landes Tirol verliehen.

 

 

Die anstehende Grafik  umfasst nur jene Belastungen an unseren Fließgewässern, die in Art und Größe aus Sicht der Tiroler Umweltanwaltschaft als erheblich einzustufen sind.
Insgesamt sind in Tirol mit Stand Februar 2023 883 Wasserkraftwerksanlagen im Wasserinformationssystem angeführt. Die Zahl der dazugehörigen Wehranlagen ist deutlich höher, nachdem zahlreiche Anlagen über mehrere Bachfassungen verfügen.

Als erheblich beeinträchtigt sind jene Gewässerabschnitte ausgewiesen, die durch Kraftwerke eingestaut sind, die eine deutliche Schwall-Sunk-Belastung durch Speicherkraftwerke bzw. eine deutliche Restwasserbelastung durch Ausleitungen aufweisen, die als erheblich veränderte Wasserkörper ausgewiesen sind oder die sich aufgrund von Flussverbauungen in einem mäßigen oder schlechteren ökologischen Zustand befinden.

 

 

Es gibt in Tirol nur mehr sehr wenige größere Gewässerstrecken, die nicht durch energiewirtschaftliche Nutzung deutlich belastet sind. Es sind dies die oberen Bereiche der Ötztaler Ache und des Lechs, die Isel, ein Großteil des Einzugsgebietes der Brandenberger Ache, die Großache sowie die Tiroler Anteile der Leutascher Ache und der Isar.
Überlagert man diese Fließstrecken mit verschiedenen ökologischen Wertigkeiten wie z.B. Gewässerschutzzonen, sehr guten ökologischen Zuständen, einzigartigen und sehr seltenen Gewässerabschnitten wird einem sehr schnell bewusst, dass der Spielraum für neue Wasserkraftvorhaben an diesen Gewässerstrecken ohne erhebliche ökologische Auswirkungen gering ist. Die Unterschutzstellung von Lech und Isel, die freie Fließstrecke am Inn und die bereits erfolgten Revitalisierungsmaßnahmen zeigen, dass das Land Tirol die Bedrohung erkannt hat und dem Verlust attraktiver Gewässerlebensräume entgegen steuern möchte.

Die Sanierung bzw. der ökologisch vertretbare Ausbau bestehender Anlagen (z.B.: Ausbau KW Finsingbach, Ausbau KW Bruckhäusl, Ausbau KW Mühlen an der Sill, Ausbau und Sanierung KW Kirchbichl etc.) bzw. einzelne neue, ökologisch vertretbare Kraftwerksvorhaben an bereits beeinträchtigten Fließstrecken (Beispiel: KW Stanzertal an der Rosanna) sind aus Sicht der Tiroler Umweltanwaltschaft eindeutig die bessere Alternative im Vergleich zu neuen Kraftwerksvorhaben an derzeit noch natürlichen bzw. naturnahen Fließstrecken.
Dies umso mehr, wenn wir einige wenige Bäche unseren nächsten Generationen möglichst naturnah übergeben möchten.

 

Aufgrund der Daten und Fakten zu Stromproduktion und Stromverbrauch, zu Ökologie und zu den bestehenden Defiziten an unseren Fließgewässern ergeben sich aus Sicht der Tiroler Umweltanwaltschaft folgende Positionen und Empfehlungen (Ausnahme: „Minikraftwerke“ zur Inselversorgung von z.B. Schutzhütten):

Positionen

  • Neue Wasserfassungen von Kraftwerken nur außerhalb der Gewässerschutzzonen der Tiroler Schutzgebiete;
  • Neue Wasserfassungen nur an solchen Gewässerabschnitten, an denen es zu keiner Verschlechterung von sehr guten Zuständen einzelner Qualitätskomponenten (z.B.: Wasserhaushalt, Fische, etc.) kommt;
  • Uneingeschränkte Erhaltung von Fließstrecken, die aus naturkundlicher Sicht besonders selten, einzigartig oder von österreichweiter Bedeutung sind;
  • Neue Wasserkraftwerke nur an Bächen, die einen mittleren winterlichen Abfluss von mehr als 50 Liter/Sekunde aufweisen;
  • Erhaltung der Durchgängigkeit für heimische Fischarten an unseren großen Fließgewässern;
  • Bewahrung der Natura 2000 Lebensräume und Arten, sodass diese nicht erheblich beeinträchtigt werden;
  • Neue Kraftwerksverfahren nur nach vorhergehend positivem  Prüfergebnis durch den Kriterienkatalog „Wasserkraft in Tirol“;
  • keine Inanspruchnahme von zusätzlichen natürlichen und naturnahen Flußlandschaften zur verlustreichen Erzeugung von Wasserstoff, Methan oder anderen synthetischen Treibstoffen.

Empfehlungen

  • Gesetzliche Festlegung von kraftwerksfreien Gewässerschutzzonen;
  • Einbindung aller Interessensgruppen im Vorfeld des Genehmigungsverfahrens.

 

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